08. August 2005
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Ertrunken in der Adria
Von Clemens Höges
Mit neuen, schnellen Booten wollte Bavaria, die größte deutsche Yacht-Werft, in der internationalen Regattaszene punkten. Die tödlichen Folgen beschäftigen nun Juristen.
Der "Yugo", wie Seeleute den Schirokko vor der Küste Kroatiens nennen, fegte mit sechs Windstärken die Adria hoch und peitschte kurze, harte Wellen auf. Dichte Wolken verdeckten den Mond. Es war also finster und durchaus ungemütlich. Aber die See war nicht mörderisch an jenem Abend, nicht für eine große und neue Regatta-Yacht wie die "Kiel", konstruiert für harte Rennen auf hoher See.
Die sechs erfahrenen Segler an Bord knüppelten das Serienboot vom Typ Bavaria 42 Match hoch am Wind durch die Nacht, Generalkurs Süd. Die Crew aus Ungarn durfte keine Minute verschenken, die anderen Yachten des Regattafeldes segelten dichtauf. Und es waren nur noch rund fünf Meilen bis zur Ziellinie.
Die Katastrophe habe sich nicht angekündigt, sagt Skipper Zoltán Kirimi, nicht durch ein Geräusch, nicht durch seltsame Bewegungen des Bootes. Ganz plötzlich kenterte die Yacht, Wasser schoss durch den Rumpf. Alle sechs Männer konnten sich durch einen Sprung in die kalte See retten, fünf wurden bald darauf von den Mannschaften einiger Konkurrenz-Yachten aus dem Meer gezogen. Den sechsten, Vilmos Budavari, hatte zwar schon ein Helfer gepackt, aber er entglitt ihm wieder.
Budavari, 51, wurde am nächsten Tag tot an der Küste gefunden - nicht weit vom angetriebenen Wrack der "Kiel".
Was Männer des Bergungstrupps dann unter dem Rumpf des Bootes entdeckten, beschäftigt derzeit Regattasegler, Eigner und Segelmagazine in aller Welt - und bald wohl auch die deutsche Justiz. Denn wo einst der rund zweieinhalb Tonnen schwere Bleikiel untergebolzt war, der eine Yacht aufrecht hält, klaffte nur noch ein ausgefranstes Loch im Kunststofflaminat: Die "Kiel" hatte ihren Kiel verloren.
Der tödliche Unfall am 25. April bringt die Giebelstädter Firma Bavaria, die größte deutsche Yachtwerft, in Not. Es geht um ihren kometenhaften Aufstieg, den Preis, der dafür womöglich zu zahlen ist und einen heftigen Imageschaden. Es geht um eine millionenschwere Entschädigung, um das nicht ungefährliche Geschäft im internationalen Regattasport und die Frage, wie sicher Sportgeräte sein müssen - und inwieweit der Hersteller dafür haftet.
Denn der Eigner der "Kiel" und die Angehörigen des Toten behaupten, Bavaria habe das Boot nicht nur billig, sondern, so ihr Anwalt Martin Neupert, auch "unsicher" gebaut. Die Firma habe Seglern weltweit "ein lebensgefährliches Gerät" untergeschoben.
Als Bavaria-Yachten Ende der siebziger Jahre auf den Markt drängten, staunten viele Segler von der Waterkant noch über die Ambitionen der Bayern. Doch Werftboss Winfried Herrmann, 62, setzte bald auf Fertigungsmethoden der Industrie, um eingesessene Handwerksbetriebe von der Küste zu überrunden. Inzwischen kommen bei Herrmann die Kunststoffyachten wie vom Fließband, modernste Produktionstechnik und Roboter sorgen dafür, dass man kaum irgendwo anders so viel Boot für so wenig Geld bekommt wie bei Bavaria.
Inzwischen bauen 600 Mitarbeiter rund 2200 Segel- und 500 Motorboote pro Jahr, der Umsatz liegt bei 225 Millionen Euro. Die Nummer zwei in Deutschland, die Greifswalder Werft der Hanse-Yachten, verkauft pro Jahr nur etwa 500 Segelboote.
Das Image der Bavaria-Yachten ist entsprechend: Sie gelten als billige Wohnwagen zur See, bestens geeignet für Freizeitkapitäne, die bei ruhigem Wetter von Hafen zu Hafen schippern - kaum aber etwas für Sportsegler, die siegen wollen.
In den vergangenen Jahren aber wuchs die Zahl der sogenannten Fun-Regatten, bei denen sich Amateure und Semi-Profis messen: Die Atlantic Rallye for Cruisers etwa führt von den Kanaren aus in die Karibik, bei der Antigua Sailing Week treten Skipper mit Charteryachten gegeneinander an.
Es ist ein Geschäft, bei dem Rennveranstalter, Charterfirmen und mit ihnen die Bootsbauer gut verdienen. Auch für solche Fun-Regatten legte Bavaria 2003 die Match-Yachten auf: flotte Cruiser-Racer, mit Wohnkomfort unter Deck und günstig. Rund 150.000 Euro kostet etwa die 42 Fuß lange 42 Match segelklar ausgerüstet, ein ähnlich großes, aber herkömmlich gebautes Fahrtenschiff etwa von Hallberg-Rassy kostet mehr als das Doppelte.
Eine Regattafirma gründete auch der Ungar Robert Lang, 49. Mit Autozubehör hatte er ein Vermögen verdient, nun setzte der leidenschaftliche Segler es ein, um sein Geld auf dem Wasser zu verdienen. Bei Bavaria orderte er für drei Millionen Euro 20 Yachten des Typs 42 Match. "Andere Hersteller wären teurer gewesen", sagt Lang. Charterkunden aus ganz Europa, so das Konzept seiner Firma Adriatic Challenge, sollten auf den identischen Yachten etwa um den Mira-Mare-Cup segeln, für den Charterpreis von 2500 Euro pro Woche und Boot.
Schon beim ersten ernsthaften Rennen passierte das Unglück. Jetzt liegen Langs Yachten allesamt fest, und der Geschäftsmann will vor dem Landgericht Würzburg millionenschwere Schadensersatzforderungen durchsetzen, schließlich entgingen ihm 50 000 Euro Einnahmen pro Woche. In einem sogenannten Beweissicherungsverfahren soll das Gericht in den nächsten Wochen klären, ob die Renn-Bavarias gefährlich leicht gebaut waren. Dann müsste die Firma womöglich haften, für den Schaden und den Tod Budavaris.
Lang engagierte renommierte Gutachter, die in einem Vorbericht zu verheerenden Ergebnissen kamen. Auch bei anderen Bavarias der Adriatic-Challenge-Flotte wollen sie Schäden rund um die Kielaufnahme im Rumpf festgestellt haben: "Die Yachten waren nicht mehr seetüchtig." Offensichtlich, so das Papier, "waren diese Bereiche zu schwach gebaut bzw. konstruiert worden, sodass schon nach der sehr geringen Nutzungsdauer Schäden eintraten, die erhebliche Gefahren für Schiff und Mannschaft beinhalten".
Bavaria beauftragte eine andere Gutachterfirma. Deren Experte kam zu einem entgegengesetzten Schluss, nämlich dass der Kiel keineswegs durch zu "dünnes Laminat aus dem Rumpf gefallen" sei. Die Boote seien massiv genug gebaut, Herrmanns Unternehmen sei "keinerlei Schuld an diesem Kielverlust zuzuweisen".
Die Werft argumentiert, die Havarie sei nur damit zu erklären, "dass die 'Kiel' mehrmals aufgelaufen ist und bereits Auflaufschäden hatte, bevor sie auf die Regatta ging". Solche Schäden könnten den Rumpf entscheidend geschwächt haben. Und an einigen der Schwesterschiffe fanden sich tatsächlich, so Bavaria, "deutlichste Spuren von Grundberührungen" an den Kielen - wie sie freilich auch entstehen können, wenn ein Boot im Hafen bei fallendem Wasserstand auf Kies und Steine stößt.
Außerdem bestreiten Unternehmer Lang und die Überlebenden der "Kiel", dass die Yacht mit irgendetwas kollidiert sei. Und: Auch schon die Eigner anderer Boote der 42er-Match-Serie klagten über den angeblichen Schlabberrumpf ihres Bootes. In einem Schriftwechsel mit einem privaten Hamburger Match-Eigner etwa räumte die Werft ein, dass "sich die Verklebung des Kiels gelöst hatte". Ein Mitarbeiter des zuständigen Bavaria-Händlers konnte sich, so ein Fax, sogar "von den ungewöhnlichen Bewegungen in der Kielsektion" überzeugen. Bavaria argumentiert, dieses Boot habe zu den ersten Exemplaren gehört, die dann nachgerüstet worden seien.
Für Bavaria steht viel auf dem Spiel. In einschlägigen Internet-Foren empören sich Segler zuhauf über den Unfall in der Adria - und mokieren sich über die Qualität der Boote. Die Match-Serie, die Imageträger für die Werft hätte werden können, trübt so den Ruf der "Geiz ist geil"-Boote.
Bavaria hätte den Fall auch relativ still erledigen können. Regatta-Unternehmer Lang und sein Anwalt sagen, sie hätten sich mit der Firma gütlich einigen wollen. Herrmann aber bestreitet jede Verantwortung.
Dabei hätte für Bavaria alles noch schlimmer kommen können. Nach der Unglücksregatta schwappte um die Kielbolzen der Schwesterschiffe "Antigua" und "San Diego" laut Langs Gutachten ebenfalls schon Wasser: "Wenn die weiter gesegelt wären, hätten die auch kentern können", glaubt Lang.
spiegel-online