Die Buchmesse im kroatischen Städtchen Pula ist extrem klein, aber auch extrem wichtig für die gesellschaftliche Debatte im Land. Von Balkan-Klischees wollen die Schriftsteller hier nichts wissen. Damit das auch das Ausland versteht, greifen sie zu drastischen Symbolen.
Es ist ein klarer Wintertag in der istrischen Stadt Pula, still liegt das Meer in der felsigen Bucht, im Hafen ankern nur wenige Boote. Touristen sind nirgendwo zu sehen, nicht im römischen Amphitheater, nicht im Augustustempel. Die Cafés sind den Einheimischen überlassen, die sich plaudernd die Zeit vertreiben. Ein Tag wie jeder andere in einer kroatischen Kleinstadt - wären da nicht überall diese weißen Unterhosen.
Gedruckt auf hellgrüne Fahnen flattern sie im Nordwind, altmodische Herrenunterhosen, aufgespießt auf einen Zweig, aus dem ein einzelnes kleines Blättchen sprießt. Es ist ein verwirrendes Bild für einen Touristenort im Winterschlaf, einen Ort, der über hundert Jahre lang, und unter den verschiedensten Herrschern ein wichtiger Marinestützpunkt war.
Im ehrwürdigen ehemaligen Offizierskasino der Stadt, ein Ort der noch immer die Grandezza der k. und k.-Monarchie atmet, kommt man dem Geheimnis ein Stück näher. Auf dem repräsentativen Vorplatz reitet eine aufblasbare barbusige Frau auf einem überdimensional großen, ebenfalls aufblasbaren Buch. Um das bizarre Denkmal herum herrscht Hochbetrieb. In wenigen Minuten wird hier zum 13. Mal die Buchmesse von Pula eröffnet. Und die steht, so erstaunlich das klingt, im Namen der Unterhose.
Magdalena Vodopija, die Direktorin der Messe, ist eine resolute Frau. Zusammen mit Alida Bremer und Dušan Karpatsky ist sie für das literarische Programm und das dazugehörige Autorenfestival verantwortlich. Nein, es gehe in diesem Jahr nicht etwa um erotische Literatur, sagt Vodopija, die im Hauptberuf Buchhändlerin ist, es ginge um viel mehr: "Den Balkan von Klischees und Mythen befreien". Dafür lasse man gewissermaßen die Hosen runter und entblöße sich bis auf die Unterhose - "damit Neues daraus erwachsen kann."
Isolierte Kultur ist Unkultur
Um eine kritische Debatte über den Balkan als Schreckgespenst, über stereotype Vorurteile eines archaischen, barbarischen, des fremdbestimmten "anderen" Balkan weiter zu befeuern, haben sie auch Schriftsteller, Philosophen und Professoren aus Nachbarländern wie Bosnien oder Serbien nach Pula eingeladen. Etwa den Philosophen Zarko Paic, der in einem Essay über den "anderen Balkan" schreibt: "Der Balkan hatte nie glaubwürdige ideologische Verteidiger. Die Rolle, die nationalen und kulturellen Identitäten der Kroaten, Slovenen, Serben, Bosnier, Montenegriner, Mazedonier, Albaner, Rumänen, Bulgaren und Griechen zu verteidigen, lag immer in den Händen anderer."
Selbstverständlich ist so ein "Nackt bis auf die Unterhose"-Motto auch Jahre nach dem Balkan-Krieg nicht. "Das ist ein ganz schönes Wagnis", sagt die Literaturwissenschaftlerin und Übersetzerin Alida Bremer, bei der anschließenden Pressekonferenz. Doch in Pula sei man von Anfang an mutig gewesen, habe sich nach außen geöffnet und mit Themen auseinandergesetzt, die weder der Regierung, geschweige denn den nationalistischen Kräften im Land genehm gewesen seien. "Denn", so Bremer, "isoliert existiert keine Kultur, höchstens eine Unkultur". Bei der kommenden Buchmesse in Leipzig wird sie für den Länderschwerpunkt Kroatien verantwortlich sein - trotz ihrer unbequemen Haltung. "Meine Autoren haben mich durchgesetzt", sagt die 48-Jährige verschmitzt.
Wie wenig Spielraum der kroatische Buchmarkt innerhalb der engen Grenzen des eigenen Landes hat und wie wichtig deswegen eine enge Vernetzung mit den Kollegen aus den umliegenden Regionen und auch mit dem internationalen Literaturbetrieb ist, zeigt ein Rundgang über die Messe. Die meisten Besucher kommen an den Wochenenden als Freizeitvergnügen auf die "Traumhafte Messe", wie die Veranstalter werben. Angelockt werden sie wohl vor allem durch die saftigen Rabatte: Buchpreisbindung gibt es in Kroatien nicht, alle Bücher sind hier mit deutlichen Preisnachlässen zu haben.
Politik in jedem Winkel
Die Zahlen sprechen für sich: Das Durchschnittseinkommen der rund 4,5 Millionen Einwohner Kroatiens beträgt etwa 650 Euro. Ein Buch kostet im Durchschnitt stolze 20 Euro, bereits eine Auflage von 1500 Büchern gilt als voller Erfolg. Allein vom Schreiben leben kann kaum ein kroatischer Autor.
Unter den prächtigen Lüstern des Militärkasinos zeigt sich dann auch ein ähnliches Bild wie in deutschen Großbuchhandlungen kurz vor Weihnachten: Internationale Bestsellerware wie "Harry Potter" gibt es zuhauf, genauso wie Jamie Oliver-Kochbücher, dazu viele Krimis und Ratgeber aus kroatischer Produktion. Die internationale Höhenkammliteratur ist im Gegensatz zur einheimischen eher spärlich vertreten, da Übersetzungen sich kaum lohnen - vor allem nicht mehr, seitdem der ehemals gemeinsame serbokroatische Sprachraum Ex-Jugoslawiens nicht mehr existiert und jedes Land stur in seiner eigenen Sprache publiziert: serbisch, kroatisch, bosnisch.
Die Politik ist allgegenwärtig in Kroatien. Sie schlüpft in jeden Winkel, tönt aus jeder Verlautbarung, winkt aus jeder Buchseite. "Pass' auf, welchen Autor du als deinen Lieblingsautor bezeichnest, es könnte ein politisches Statement sein", ist hier ein oft zitierter Satz. Für Außenstehende sind die Verwicklungen mit all ihren Nuancen alles andere als leicht zu durchschauen.
"Alt und ständig besoffen"
Politisch korrekt will hier niemand sein, weder nach innen, noch nach außen. So distanzieren sich viele Autoren, wie der Untergrund-Schriftsteller Edo Popovic oder der Autor Miljenko Jergovic von den nationalen Schriftstellerverbänden. Die lockten zwar mit Steuervorteilen und bezahlten Reisen ins Ausland, seien aber rückwärtsgewandte nationalistische Apparatschicks, "alt und ständig besoffen", fügt jemand hinzu, der lieber nicht zitiert werden will.
"Es geht uns auch nicht um Versöhnung", sagt Alida Bremer, "das erwartet der Westen immer von uns." Worum geht es dann? "Um eine Utopie, um ein gemeinsames Projekt Mitteleuropa", sagt der Dichter Delimir Rešicki - ohne Missionierung durch den Westen. "Darum, in der Literatur die direkte und nicht geschönte Erfahrung des Krieges darzustellen", sagt der Schriftsteller Tomica Bajsic. "Darum, sich nicht von der Politik vereinnahmen zu lassen", sagt die Messechefin Vodopija. "Deutschland hat den weltgrößten Übersetzungsmarkt, da wollen wir hin!", sagt die Leipzig-Koordinatorin Bremer, "schließlich wollen wir die Rezeption unserer Literatur jenseits von Klischees anschieben".
Vielleicht geht es erst einmal darum, eine Stimme zu haben, die auch im Ausland gehört wird. Innerhalb Kroatiens und seiner Nachbarländer, in diesem so vitalen wie vielseitigen Intellektuellen-Zirkel gibt es diese Stimmen natürlich längst, auch wenn es nur wenige erstzunehmende Literaturkritiker und damit öffentliche Debatten gibt, wie der Schriftsteller Edo Popovic erzählt. Raue, bisweilen widersprüchliche, manchmal zarte Stimmen, die von Unsicherheit und Gewalt erzählen, Geschichten aus dem sozialistischen Alltag in Jugoslawien, aus den dunklen Jahren des Balkankrieges und aus der Krisen-Zeit danach. Oft radikal subjektiv, manchmal verträumt poetisch.
Doch anders als etwa in der Bildenden Kunst, die sich direkt mitteilen kann, ist in der Literatur ein Austausch mit dem Ausland erst durch hochwertige Übersetzungen möglich. Im März 2008, wenn Kroatien sich und seine Literatur auf der Leipziger Buchmesse präsentiert und deutsche Verlage einige hierzulande bisher unbekannte Autoren vorstellen, wird es dann vor allem ums Zuhören gehen. Zuhören und lesen, das ist wohl das Beste, was man in dieser Situation tun kann.
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