15. Februar 2006, Neue Zürcher Zeitung Der Wolf ist los! Mediation zwischen Kroatiens Naturschützern und Schafzüchtern
Dank einem beispielhaften Programm zum Schutze einheimischer Raubtiere kann Kroatiens Wolfbestand stabil gehalten werden. Mediatoren vermitteln im Auftrag des Staats zwischen den Interessen von Naturschützern, Schafzüchtern und Jägern. Eine Erfolgsgeschichte.
Wok. Gospic, im Februar
«Ein Rudel hungriger Wölfe plündert die Gegend von Cabra», lautete unlängst der Titel eines haarsträubenden Artikels des kroatischen Boulevardblatts «Jutarnji List». Bedauernswertes Opfer der reissenden Meute wurde die 18 Monate alte Labradorhündin Dzerija, in Stücke zerrissen am frühen Morgen vor dem Hofe ehrsamer Bauersleute, die in den einsamen Weiten der dinarischen Berge der Unbill der Natur trotzen. Solche Geschichten steigern zweifellos die Auflage. Ausgerechnet einen Labrador haben diese Bestien erwischt! Gemeinsam mit dem Golden Retriever rangiert diese Hunderasse zuoberst auf der Beliebtheitsskala jener Zagreber Bürger, sie heissen hier Purger, die Tag für Tag im Zrinjevac- Park ihre Hunde spazieren führen und ihre Lieblinge in diesen Wintertagen mit wärmenden Mäntelchen vor der Kälte schützen oder ihnen gar eine Pelzstola überstülpen, wie kürzlich einem stolzen kleinen Mops widerfahren. Wer ist Mirko Wolf?
Der Co-Autor des Berichts über den grausamen Tod der jungen Dzerija heisst Mirko Wolf. Ein Nom de Plume? Keineswegs. Er kenne den Mann sehr wohl, sagt Dragan Saric. Es handle sich um einen Lokalberichterstatter und, dies müsse betont werden, einen leidenschaftlichen Jäger. Saric ist Gebietskoordinator für die Regionen Gorski Kotar und Lika des Ministeriums für Umweltschutz. In seinem Büro im Provinzstädtchen Gospic wird sein Aufgabenbereich sofort deutlich: Wolf, Wolf und nochmals Wolf. Und neben seinem Schreibtisch das Stadtwappen: ein Wolf.
Der Name Lika stamme aus griechischer Zeit, sagt Saric, und sei gleichbedeutend mit Land der Wölfe. Der in Gospic gebürtige Beamte hatte seine Ausbildung als Agronom eben abgeschlossen, als vor knapp drei Jahren ein Notstand erkannt wurde.
Das von der EU-Kommission finanzierte Life- Projekt hatte in aufwendiger Forschungsarbeit umfangreiche Massnahmen zum Schutz der einheimischen Raubtiere erarbeitet. In Kroatien sind dies Bären, Luchse und Wölfe. Doch die Umsetzung des sogenannten Wolfs-Management-Programms kam nicht recht voran. Der Widerstand auf Seiten der Schafzüchter und Jäger war tief verwurzelt. Zuallererst war deshalb Aufklärungsarbeit nötig. In zahllosen Treffen in der Region hat Saric inzwischen nicht nur viel Publicity-Arbeit für den Wolf geleistet, sondern auch bekannt gemacht, was der kroatische Staat zu leisten bereit ist, wenn die Raubtiere Schaden anrichten. Denn das kommt immer wieder vor. In seiner Region registrierte Saric im vorletzten Jahr 42 Schadensfälle. Pro Fall handelte es sich in der Regel um 10 bis 12 gerissene Schafe. Im vergangenen Jahr trafen lediglich noch 7 Schadensmeldungen ein, obwohl seither die Herden in der Region gewachsen waren. Der Erfolg hat zwei Gründe: Hütehunde und Elektrozäune. Hütehunde und Elektrozäune
Vor drei Jahren seien sie erstmals gekommen, die Wölfe, erzählt ein Schafzüchter in dem unweit von Gospic gelegenen Weiler Cukovac. Er hatte sich hier ein von Kriegsspuren stark gezeichnetes Haus gekauft, um mit Schafzucht seine karge Pension aufzubessern. Inzwischen zählt seine Herde 80 Tiere. Sie sind derzeit eingepfercht in dem 40 Aaren grossen Obstgarten seines Hofes und von einem Elektrozaun mit fünf Drähten umzäunt. Auf der Weide werden die Tiere von vier Hütehunden bewacht. Für diese Aufgabe ausgezeichnet geeignet sind Hunde der einheimischen Tornjak-Rasse. Es sind robuste zottlige Tiere, die dem Menschen ebenso schmeicheln, wie sie den Feinden ihrer Herden auf den Pelz rücken. Um sie mit ihrer Aufgabe vertraut zu machen, müssen sie bereits als Welpen mit den Herden aufwachsen und sollten keinen regelmässigen nahen Kontakt mit Menschen haben. Anketten sollte man sie nicht. «Krieg ist der Bruder des Wolfes»
Eine solche Hundehaltung war in Kroatien, wo Hofhunde an der Kette sind und Stadthunde Mäntelchen tragen, unbekannt. Sarics Aufgabe ist es, den richtigen Umgang mit den Hütehunden zu lehren. Jene Züchter, die vom Staat eines der umgerechnet bis zu 1000 Franken teuren Tiere erhalten, werden regelmässig überprüft, ob sie die Tiere auch richtig einsetzen. Auch die Kosten für die Elektrozäune trägt das Ministerium. Die Massnahme lohnt sich. Der Wolf ist seit 1995 in Kroatien geschützt, wer ihn unerlaubt abschiesst, riskiert eine Busse von 8000 Franken. Wenn Wölfe Schaden anrichten, ist der Staat dafür verantwortlich. Pro gerissenes Schaf kostet das zwischen 100 und 400 Franken.
«Rat je vukov brat», zitiert der Zagreber Zoologe Djuro Huber eine aus Russland stammende Redeweise, die auch in Kroatien gelte: «Krieg ist der Bruder des Wolfs.» Vor Ausbruch des Kriegs im ehemaligen Jugoslawien zu Beginn der neunziger Jahre war der Wolf auf kroatischem Territorium akut gefährdet. Lediglich noch etwa 50 Tiere hätten überlebt gehabt, erzählt Huber. Er ist einer der Initianten des Wolfs-Managements in Kroatien und gilt europaweit als Kapazität im Bereich Forschung und Schutz einheimischer Raubtiere. Während des Kriegs entvölkerten sich weite Teile der Lika. Waidmänner als Teilhaber
Die verbliebenen Wölfe fanden unter streunenden Haus- und Nutztieren reichlich Nahrung. Verbuschte Weiden boten ihnen ideale Deckung, und in den von Minen verseuchten Gebieten waren sie auch vor Jägern in Sicherheit. Doch eine neue Menschengattung trachtete nach ihrem Leben: die Automobilisten.
Eine minuziöse Erforschung des Lebensraums der Wölfe in Kroatien hatte ergeben, dass die Hälfte der Population von fortschreitendem Strassenbau unmittelbar bedroht war. Grösstes Hindernis bildete die vor kurzem fertig gestellte und mitten durch die Lika führende Autobahn von Zagreb nach Split. Dank Intervention der Wolfs-Manager und der Unterstützung internationaler Naturschützer wurden beim Bau der Autobahn fünf sogenannte Grünbrücken errichtet. Sie werden von sämtlichen Wildtieren, auch den Wölfen, seither regelmässig benutzt. Dennoch werden aber jährlich weiterhin etwa 10 Wölfe von Autos überfahren.
Hubers Forschungen ergaben, dass in Kroatien ein Wolfbestand von 150 bis 200 Tieren nicht überschritten werden sollte. Um die Population in dieser Grösse zu erhalten, müssen jährlich etwa 10 Prozent ausgemerzt werden. Im vergangenen Jahr fielen 13 Wölfe dem Strassenverkehr zum Opfer, 2 wurden illegal gewildert. Um die Quote zu erreichen, erhielten nicht staatliche Wildhüter, sondern Jäger die behördliche Bewilligung zum Abschuss von 4 Tieren. Auch Jäger müssen überzeugt werden
Also doch: Ausgerechnet die Jäger, die mit ihrem gnadenlosen Treiben während der vergangenen Jahrzehnte den canis lupus beinahe ausgerottet und damit der in diesem Teil Europas noch sehr intakten Artenvielfalt ernsthaften Schaden zugefügt hatten. Huber pariert den Vorwurf gekonnt. So wie die Viehzüchter müssten auch alle Jäger vom Sinn eines Naturschutzes überzeugt werden, der auch Raubtieren Platz lasse. Er räumt ein, dass Jahre aufwendiger Überzeugungsarbeit nötig waren, um die Jäger und Schafhalter zu Teilhabern am kroatischen Wolfs-Management werden zu lassen. Und wer weiss, vielleicht zählen künftig gar auch alle Schreiber zu den Teilhabern, selbst Mirko Wolf.
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