Krieg der Clubs
Von Simon Riesche
Heute treffen Bosnien und Serbien in der WM-Qualifikation aufeinander. Es ist ein Spiel voller Brisanz. Mostar erlebt den Konflikt täglich. Die Stadt wurde faktisch geteilt, an Versöhnung glaubt kaum einer. Auch die Fußballclubs können nicht für Entspannung sorgen.
Almir sitzt in einem kleinen Café in der Altstadt von Mostar und redet über Fußball. Es ist ein milder Abend, ruhig fließt das glitzernde Wasser der Neretva unter der hell erleuchteten Brücke hindurch. In den kleinen Gassen tummeln sich die Menschen, während sich der Ruf des Muezzins mit dem Glockengeläut der nahen Kirche vermischt. Doch die Idylle trügt. Nur wenige hundert Meter weiter zeugen Straßenzüge mit zerschossenen Ruinen von einem anderen Mostar - einem Mostar, das Almir am liebsten vergessen würde. Der knapp 30-Jährige ist ein leidenschaftlicher Fußballfan. Sein Verein ist der FK Velez, der Traditionsclub der Stadt. Wenn Almir über die großen Jahre von Velez spricht, hört er sich trotz seines Alters an wie ein Großvater, der von früher erzählt.
"Früher" - das war die Zeit vor 1992, dem Jahr, in dem der Krieg begann und in Mostar nicht nur der Fußball seine Seele verlor. In der starken jugoslawischen Liga spielte Almirs Lieblingsverein einst eine wichtige Rolle. Velez konnte durchaus mit den großen Teams aus Belgrad oder Split mithalten, zweimal gewann man gar den nationalen Pokal. Der Fußball, der damals in Mostar gespielt wurde, sei zudem immer etwas Besonderes gewesen, schwärmen viele Fans noch heute: trickreicher, attraktiver und irgendwie "charmanter" als beim Rest der Liga.
Velez habe den jugoslawischen Fußball verzaubert, heißt es, wie auch die Stadt Mostar ihre Gäste zu verzaubern vermochte. Hier zeigte sich das jugoslawische Modell eines multi-ethnischen Staates von seiner besten Seite. In keiner anderen Stadt des Landes gab es so viele "gemischte Ehen" wie in Mostar. Hier zu leben, galt als ein besonderes Lebensgefühl.
Viele Stars begannen einst bei Velez mit dem Fußballspielen, so auch Sergej Barbarez, heute beim Hamburger SV. Barbarez erinnert sich gern an jene Tage in Mostar. Die großartige Jugendschule des Vereins habe den Grundstein für seine Karriere gelegt, sagt der heute 34-Jährige. Seine letzten Spiele für Velez machte Barbarez 1991, kurz bevor Mostar im Chaos der Balkan-Kriege versank. In letzter Minute wechselte er zu Hannover 96. "Ohne den Krieg wäre ich wohl nie nach Deutschland gekommen", sagt er heute nachdenklich.
Während Barbarez in der Fremde sein Glück versuchte, erlebte seine Heimat eine unfassbare Welle der Gewalt. Muslimische Bosniaken und bosnische Kroaten kämpften zunächst gemeinsam gegen bosnische Serben, später dann gegeneinander. Viele tausend Einwohner verloren ihr Leben. Bis heute ist Mostar de facto geteilt - in einen kroatischen Teil im Westen und einen muslimischen Teil im Osten. Dazwischen liegen die einstige Frontlinie - sowie Hass und Misstrauen. Unzählige Häuser sind in Mostar noch heute zerstört, in den umliegenden Bergen liegen zahlreiche Minen. Die im Krieg zerbombte Brücke, einst Wahrzeichen des friedlichen Zusammenlebens der Kulturen, wurde mit internationaler Finanzhilfe wieder aufgebaut. Doch für immer vergangen scheint Mostars Unbeschwertheit.
Velez ist heute nicht mehr der "Verein aller Mostarer". Noch während des Krieges erlebte der längst vergessen geglaubte Lokalrivale HSK Zrinjski Mostar seine spektakuläre Wiedergeburt. Dass der "Hrvatski Sportski Klub" das Kroatische im Namen verankert hat, kommt nicht von ungefähr - es ist der Club von "West-Mostar", dem Teil der Stadt, in dem die bosnischen Kroaten leben. Angeblich sei der Verein bereits 1905 gegründet worden, heißt es, was jedoch reichlich umstritten ist.
Fakt ist, dass Zrinjski nie auch nur ein Spiel in irgendeiner jugoslawischen Liga bestritt. In den Augen der Ost-Mostarer ist der Club nicht mehr als ein Propagandainstrument der kroatischen Seite, eine Art nationalistisches Projekt - aber kein ernst zu nehmender Fußballverein. Umgekehrt lässt man auf der Westseite keine Gelegenheit aus, um zu erklären, dass Velez heute nur mehr der Verein für "die Muselmänner aus dem Ost-Teil" sei. "Die Zeiten in Mostar haben sich eben geändert", erklärt Ivan, ein 30-jähriger Zrinjski-Fan.
Wie fast alles in Mostar, so ist auch der Fußball heute in erster Linie ein Politikum. War von Anfang an klar, dass Zrinjski der "Verein der Kroaten" ist, so tut sich Velez bis jetzt schwer damit, eine ethnische Gruppe zu vertreten. Viele Velez-Anhänger wehren sich dagegen, als Verein der bosnischen Muslime angesehen zu werden und verweisen auf die kommunistische Vergangenheit des Clubs. Seit neuestem trägt man gar wieder den roten Stern im Wappen, der größte Fanclub nennt sich "Red Army". Dennoch gilt Velez heute als Verein der Menschen aus dem Osten der Stadt - und das ist er wohl auch. Ob gewollt oder nicht, ist der jugoslawische Traditionsclub in den Strudel des ethnischen Konfliktes hineingeraten.
Besonders vergiftet wurde das Verhältnis der beiden Vereine dadurch, dass Zrinjski seine Spiele mittlerweile im großen städtischen Stadion, dem ehemaligen "Wohnzimmer" von Velez, austrägt. Zufällig befindet sich die Arena auf der Westseite der geteilten Stadt. Die bosnisch-kroatische Administration von "West-Mostar" sprach nach dem Ende des Krieges Zrinjski das Stadion zu. Velez, einst die stolze Nummer eins der Stadt, kickt seitdem auf einer besseren Wiese in einem kleinen Dorf vor den Toren der Stadt.
Gerade die ersten Derbys nach dem Krieg sind den Velez-Fans in schlimmer Erinnerung. Unter stärksten Sicherheitsvorkehrungen wurde man zum "Auswärtsspiel" ins frühere Heimstadion geleitet. Auf dem Weg durch die vertrauten Straßen hagelte es Steine und Flaschen. Das sei ein "unglaublich erniedrigendes Gefühl" gewesen, verrät Emir, ein alter Velez-Anhänger. "In unserer eigenen Stadt sind wir wie Vieh behandelt worden. Immer, wenn Velez und Zrinjski aufeinander treffen, befindet sich Mostar schlagartig wieder im Kriegszustand", beschreibt Davor, ein bulliger Barkeeper aus dem West-Teil, die Lage.
Während Velez sich im Sommer 2003 gar in die zweite Liga Bosnien-Herzegowinas verabschieden musste, beschenkte sich Zrinjski zuletzt mit der Meisterschaft. Schließlich galt es, das vermeintlich hundertjährige Vereinsjubiläum zu feiern. Finanzkräftige Sponsoren hatten Zrinjski eine ganze Palette talentierter Spieler - und angeblich auch ein paar Siege - gekauft. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Fußballspiele in Bosnien-Herzegowina vor allem mit Geld gewonnen werden.
Hier liegt auch das Hauptproblem von Velez. "Der Verein ist derart am Boden, dass er nicht einmal mehr die Kohle hat, um sich den Wiederaufstieg zu kaufen", sagt ein alter Anhänger am Zeitungskiosk. In den vergangenen beiden Spielzeiten wurde man jeweils am letzten Spieltag auf mysteriöse Weise um den verdienten Aufstieg gebracht. Zuletzt soll der ebenso reiche wie zwielichtige Kriegsveteran Hamdija "Tiger" Abdic seine Finger im Spiel gehabt haben. Ausgerechnet dessen Verein Jedinstvo Bihac überholte Velez noch auf der Zielgeraden.
Mittlerweile versuchen ehemalige Profis, ihrem gedemütigten Verein wieder auf die Beine zu helfen. In der mit Einschusslöchern übersäten Geschäftsstelle findet man Sead Kajtaz, einen flüchtigen Bekannten aus der Bundesliga. Kajtaz spielte einst in Nürnberg unter Trainer Arie Haan und galt als Fehleinkauf. Heute ist er Sportdirektor bei Velez. Er sitzt auf einem ramponierten Ledersessel, an den Wänden zeigen vergilbte Mannschaftsposter den Verein in besseren, längst vergangenen Tagen. Nur über Sport wolle er reden, nicht mehr über Krieg oder Politik, sagt Kajtaz.
Diese Trennung gelingt ihm aber nicht so recht, zu sehr scheinen diese Dinge in Mostar zusammenzuhängen. "Hätten wir doch wenigstens unser Stadion behalten können", seufzt Kajtaz. Ob der Fußball jemals zur Versöhnung zwischen den Menschen der Stadt beitragen kann? Er weiß es nicht. Im fernen Hamburg tut sich auch Barbarez schwer mit einer klaren Antwort auf die Frage nach Versöhnung. "In naher Zukunft jedenfalls nicht."
spiegel-online, 12.10.05