In seinem Roman "Ausfahrt Zagreb-Süd" porträtiert der kroatische Schriftsteller Edo Popovic, 50, die Verlierer des Jugoslawien-Krieges. Eine Generation, "die im 20. Jahrhundert gesoffen hat und im 21. nüchtern geworden ist".
Was hat Bier mit Politik zu tun? Wenn man damit den Fall des Eisernen Vorhangs und die Einführung der Demokratie in Kroatien in Verbindung bringt, eine ganze Menge. Anders als man annehmen könnte, geht es aber nicht darum, dass diese historische Zäsur von der Bevölkerung enthusiastisch mit berauschendem Gerstensaft begossen worden wäre. Nein, der kroatische Schriftsteller Edo Popovic lässt in seinem Roman "Ausfahrt Zagreb-Süd" den alkoholkranken, von Schreibhemmung geplagten Schriftsteller und Journalisten Baba eine ganz andere Bilanz ziehen: "Es stellte sich heraus, dass diese legendäre Demokratie, von der man soviel erzählt hatte, im Grunde nichts anderes ist, als ein Arschtritt für das einheimische Bier." Das nämlich ist in Zagreb, zugunsten zahlloser globaler Marken, kaum mehr zu bekommen.
Und so irrt Baba ziellos durch seine Stadt und weiß nicht, wohin mit sich und seinem Restleben. Seine Frau Vera, eine Anglistin, will nichts mehr von ihm wissen und träumt sich per Internet in eine bessere Welt. Der ehemalige Rechtsanwalt Kanceli, dem Frau und Kind davongelaufen sind, hat seine Verweigerungshaltung dem Leben gegenüber so weit getrieben, dass er in einem unmöblierten Zimmer haust und Gelegenheitsjobs auf dem Fischmarkt oder in der Autowäscherei annimmt. Zu diesem Ensemble der Unglücklichen, das in Utrine, einem trostlosen Plattenbau-Vorort von Zagreb haust, gehört außerdem Robi, ein gescheiterter Dichter, dem so ziemlich alles misslingt, was er anfasst.
All diese Figuren leben aneinander vorbei und haben doch eines gemeinsam: Sie haben die vierzig längst überschritten und wurden durch den Krieg im ehemaligen Jugoslawien der besten Jahre ihres Lebens beraubt. Sie sind Kroatiens "lost generation", im Buch heißt es: "zu alt für Rock'n'roll, zu jung für den Tod". Was also tun? "Man kann nur warten", resümiert Baba. Warten und Biertrinken.
Nun ist es aber nicht so, dass Edo Popovic in "Ausfahrt Zagreb-Süd" mit herzzerreißender Kriegsopfer-Prosa aufwartet. Der Ton seines ebenso menschlichen wie dezent satirischen Generationen-Portraits bleibt wunderbar lakonisch, und wenn Kanceli feststellt, das Jüngste Gericht habe sich schon längst ereignet, "wir wissen es nur noch nicht", dann wirkt das nicht depressiv, sondern heiter-melancholisch.
Resignation als Widerstandsmethode
Anders als die junge Generation können und wollen diese Mittvierziger nicht mehr mithalten mit dem Einzug des Kapitalismus in Kroatien. "Ihre Resignation ist ihre Methode des Widerstandes gegen die Realität", sagt Edo Popovic im Interview. Statt mitzuhetzen mit der Verwestlichung, die im rasanten Tempo um sich greift, hängen sie nostalgisch am Lebensgefühl ihrer Jugend. Partys, Alkohol, Rockmusik und unbekümmerter Sex - das war ihr Leben im sozialistischen Jugoslawien Titos.
Tatsächlich ging es in den achtziger Jahren relativ liberal in Jugoslawien zu. "Wir hatten ein gutes Leben", sagt Popovic, der mit mittlerweile 50 Jahren ebenfalls zu dieser Generation gehört, "es mag sein, dass wir nicht vollkommen frei waren, doch es herrschte soziale Gerechtigkeit."
Umso größer war der Kater danach: Früher habe man von Anarchismus geschwafelt, heißt es im Buch, "und hat das etwa den Kommunismus zu Fall gebracht? Nein, das hat es nicht. Das Geld hat es geschafft, Geld, das wir nicht hatten und das uns nichts bedeutete. Wir haben nur in den Staub gefurzt".
Mit der Entwicklung Kroatiens seit Kriegsende geht Popovic, der im alten Jugoslawien eine angesehene Literaturzeitschrift herausgab, hart ins Gericht: Tatsächlich habe der Krieg ihr Leben weniger zerstört, als der bis heute in Kroatien grassierende Turbo-Kapitalismus. "Der Privatisierungsprozess hat diesen Menschen alles weggenommen, Unternehmen haben das Geld aus dem Land gepumpt und sehr viele ihrer Angestellten entlassen", so der Schriftsteller.
Literarische Osterweiterung
Im Buch heißt es einmal, anderen seine Geschichte zu erzählen, sei wie ein "Entzug von der eigenen Vergangenheit". Die Vergangenheit, in Popovics Fall ist das wohl seine Zeit als Kriegsreporter. Er war einst wegen seiner unideologischen Reportagen ebenso gefürchtet wie bewundert. In Zeiten, in denen der Nationalismus überall in dem zerrissenen Land hochkochte, hielt sich Popovic lieber an die Fakten und ließ sich vor keinen Propaganda-Karren spannen. "Ich war nie pro-kroatisch oder anti-serbisch", sagt Popovic, "mir ging es um die Opfer des Krieges, ich suchte den unmittelbaren Kontakt mit ihnen und schrieb auf, was ich sah."
In Kroatien ist Popovic nicht zuletzt wegen dieser kompromisslosen Haltung ein bekannter Schriftsteller, sein erster Roman "Ponoæni Boogie" wurde zum Kultbuch. Dass zumindest "Ausfahrt Zagreb-Süd" jetzt ins Deutsche übersetzt wurde, ist dem kleinen Leipziger Verlag Voland & Quist zu verdanken. Der Roman bildet den Auftakt der neuen Osteuropa-Reihe "Sonar" des ursprünglich auf "Liveliteratur" spezialisierten Verlages. Wie allen Büchern von Voland & Quist ist auch diesen eine Hör-CD mit Auszügen aus dem Roman beigelegt.
Mit dieser literarischen Osterweiterung besetzen die jungen Verleger eine viel versprechende Nische: Im kommenden Jahr ist Kroatien Gastland auf der Leipziger Buchmesse, auch die größeren Verlage setzen längst auf Autoren aus dem ehemaligen Jugoslawien. Da sind, um nur einige zu nennen, Sasa Stanisic mit seinem viel beachteten Debüt-Roman "Wie der Soldat das Grammophon repariert" (Luchterhand) oder Miljenko Jergovic mit "Buick Riviera" (Schöffling), Zoran Drvenkars "Yugoslawian Gigolo" (Klett Cotta) und die Romane von Zoran Feric (Folio).
Es gibt also einiges zu entdecken. Man sollte sich aber ranhalten, um noch ein Exemplar von "Ausfahrt Zagreb-Süd" zu ergattern: Die erste Auflage beträgt gerade einmal 1000 Stück.
Den Typen kann man echt empfehlen. Habe Izlaz – Zagreb jug vor 3-4 Jahren im Urlaub gelesen und finde die CRO-Version noch um einiges besser als die Übersetzung, sofern ich das überhaupt beurteilen kann, da ich eben nur kurz die Lese und Hörproben angeklickt habe.
Sehr nett geschrieben (Kurzgeschichten über der Loosergeneration) in einer Sprache, die sich kaum übersetzen lässt. So definiert der Edo die Demokratie in HR, als – odjebavanje domaceg piva
In Antwort auf:"Es stellte sich heraus, dass diese legendäre Demokratie, von der man soviel erzählt hatte, im Grunde nichts anderes ist, als ein Arschtritt für das einheimische Bier."
Hallo Ratibier, Kannst du mir vielleicht sagen wo man das Buch auf Kroatisch bestellen kann? Eine Freundin von mir möchte es gerne haben. Das sie mit fast 50 Jahren zur dieser "Loosergeneration" von Balkan selber gehört(Ihre Wörte) und wegen ehemaligen Jugoslawien Krieg die bessten Jahren ihres Lebens beraubt fühlt, hat sie Interesse darüber was zu lesen. Danke für jeden Tipp
Ich habe das Büchlein für 20 Kuna in Zadar auf dem Flohmarkt gekauft und ich würde es dir auch gerne schenken, nur leider liegt das vermutlich noch im Boot und das liegt wiederum in HR. Die D-Version gibt es aber bei Amazon und die CRO hier; Leider ist die verlinkte Seite / Foto / Video nicht mehr verfügbar. - Thofroe (habe es gegoogelt – also keine Erfahrung)
Dass den 50jährigen jemand die besten 10 Jahre im Leben geklaut hat, war schon immer symptomatisch, nur meistens waren das die eigener Ehefrau oder Mann. In HR ist der Krieg natürlich auch eine willkommene Ausrede.
Dass den 50jährigen jemand die besten 10 Jahre im Leben geklaut hat, war schon immer symptomatisch, nur meistens waren das die eigener Ehefrau oder Mann. In HR ist der Krieg natürlich auch eine willkommene Ausrede.
Meine Freundin ist übrigens immer noch mit Ihren Man zusammen. Sie Kroatin, er Mazedonier. Studierten und lebten damals in Belgrad. Danach unterichtete sie an der Uni, er hate arbeit als Ingenieur. Von Heute auf morgen haben sie damals Ihre Arbeit verlohren. Nach Kroatien könnten die nicht, da Ihre Mann keine Kroatische Pappiere hate. Also, sind sie erstmal in Mazedonien gelandet, wahren Jahre lang ohne Arbeit(mit 2 Kleinen Kinder), kammen durchs Leben mit gelegenheits Job. Jezt ist Sie seit zwei Wochen in Deutschland gelandet, und dank Ihrer gute Italienisch kenntnise, arbeitet sie beim einen Italiener. Bei denen ist Krieg keine Ausrede, es ist alles wegen Ihre Religion passiert.
Kaja, Kaja, warum bist du immer so ernst? Der Satz war doch nur ironisch gemeint.
Es ist nun mal so, dass sich die Menschen nach der Silberhochzeit gerne gegenseitig beschuldigen, von dem Partner, um die Jugend beraubt zu sein, obwohl sie die ganze Zeit behauptet haben – glücklich zu sein.
Das Leben schreibt halt Geschichten und gezählt wird am Schluss. Dann steht einer als Looser da und der nächste ist saniert, obwohl sie am Anfang die gleichen Chancen hatten.
Gott sei Dank, ist kein Glück von Dauer und kaum jemand hat immer nur Pech.
Kaja, Kaja, warum bist du immer so ernst? Der Satz war doch nur ironisch gemeint. Erstmal bin ich nicht immer ernst. du aber immer ironisch, so kann man sich besser ertragen, nicht war?
dass sich die Menschen nach der Silberhochzeit gerne gegenseitig beschuldigen Sprichst du aus erfahrung? Schreib ich dir in paar Jahren wenn es bei mir so weit ist.
Und jetzt fühle ich mich wie damals in der Schule von Lehrer gerügt
Ein Stück Kroatien, als wär's gleich nebenan: Ausfahrt Zagreb-Süd
veröffentlicht von: Ralf Julke am Mittwoch, 30. Mai 2007
Mit der Reihe sonar hat sich der Leipzig-Dresdener Verlag Voland & Quist auf vermintes Gelände gewagt: in die unerforschte Welt der osteuropäischen jungen Literatur. Die dann und wann Autoren hervorbringt, die für Gesprächsstoff sorgen. Aber eher zufällig. Und auch eher dann, wenn so kleine Verlage vorpreschen und sich trauen. Wie Voland & Quist mit dem kroatischen Autor Edo Popovic und seinen Roman "Ausfahrt Zagreb-Süd".
Es klingt wie "letzte Ausfahrt", aber das Wörtchen "letzte" steht da nicht, auch wenn das Buch genau diese Stimmung vermittelt. Der Krieg ist lange vorbei. Aus westeuropäischer Sicht sogar längst vergessen. Kroatien ist als erste einst jugoslawische Teilrepublik ausgeschert, hat den Kampf gegen die serbische Armee gewonnen, ist Mitglied der EU geworden, plant die Einführung des Euro. Da rätselt man schon: War da überhaupt mal Krieg? Und wann überhaupt? 1991 bis 1995? Das ist doch eigentlich erst gestern gewesen. Quasi.
Edo Popocic, 1957 geboren, war Kriegsberichterstatter aus diesem Krieg, der bekannteste sogar. Seine Reportagen zeigten den Krieg von seiner irdischen Seite, es waren Berichte eines Miterlebenden, der aufschrieb, was er sah und erlebte und der sich nicht auf die Verkündungen der Generalsstäbe verließ. Vielleicht bringt Voland & Quist die Kriegsreportagen noch. Später. Wenn die Leser mehr Popovic lesen wollen. Kann ja passieren.
"Ausfahrt Zagreb-Süd" erzählt von der Zeit nach dem Krieg, vom Leben in einem Zagreb, in dem die Erinnerungen an den Krieg verschwunden scheinen und die Stadtbewohner irgendwie versuchen, in einem neuen Leben Tritt zu fassen, das so seltsam erinnert an die Nach-"Wende"-Jahre im Osten Deutschlands. Die alten Rituale sind verschwunden, die großen Verheißungen der "Revolution" nicht eingetreten. Jeder muss sich irgendwie durchschlagen und für sich selbst klären, welche Kompromisse er jetzt bereit ist einzugehen.
Jetzt, wo die alte Klarheit verschwunden ist und auch Baba, der einstige Erfolgsautor, in die Krise gerät mit sich, mit dem Schreiben und mit Vera, die die Nase voll hat von seinem Suff und seiner Sprachlosigkeit. Kanceli, der ehemalige Rechtsanwalt, hat dem neuen Konsum gleich eine Absage erteilt, hat Strom und Telefon abbestellt und versucht, sein Leben ganz einfach zu leben, während Stjepan, der pensionierte Seemann, eine Frau sucht für "gemeinsame Stunden" und Vera in e-Mails an einen Freund in Amerika versucht, ihre Sehnsucht nach einem anderen Leben zu formulieren. Die Szenen aus ihren Erlebnissen schachteln sich ineinander. Da und dort berühren sich die Fäden, wird ein Bild deutlich von einem kroatischen Stadtviertel, das es so auch in Frankreich, Deutschland, Schweden geben könnte, abgehängt scheinbar vom großen Rumoren der Welt-Geschichte, abgehängt von wirtschaftlichen Wundern. Aber doch irgendwie vertraut, ein bisschen abgenutzt von der Zeit.
Kein leuchtender Ort. Eher eine Kulisse, die schon beim ersten Blick vertraut wirkt. Kein orientalisches Märchen, keine Gesellschaftanklage. Zehn Jahre nach dem Krieg gibt es keine Entschuldigungen mehr und jeder einzelne muss seinen Weg suchen in sein eigenes Glück. Ein bisschen Fatalität schwebt über dem Ganzen. Jene Fatalität, in der Worte wie Fördergelder, Leuchttürme oder Karriere keinen Platz haben. Zagreb-Süd ist ein Ort, an dem zwar die Sehnsucht nach etwas mehr Glück zu Hause ist, aber auch die Hoffnung, dass man sein Leben nicht ganz unerfüllt leben wird, das man irgendwie doch noch "die Kurve kriegt", auch wenn niemals klar ist, was hinter der Kurve kommt, wohin einen die eigenen Wünsche tragen.
Es ist sogar fast ein versöhnliches Buch, in dem Popovic seine Sicht auf das Leben im heutigen Europa beschreibt. Einem Europa, das zu einem großen Teil aus ebensolchen Satelliten-Städten besteht, in denen man stranden kann und verloren gehen. Oder in denen man ankommt und irgendwann akzeptiert, wie wenig man eigentlich braucht, um sich am Leben zu fühlen.
So gesehen ist das Buch sogar eine Absage an das übliche Europa-Bild, das nur den Wettbewerb kennt aller gegen alle. Und dem die Vororte da hinten in Kroatien genauso wurscht sind wie die Banlieue von Paris oder die piefigen Kleinstädte in Ostdeutschland. Doch es ist eben die Welt, in der die meisten Europäer leben. Die meisten warten. Manche suchen ihr Glück. Und manche sind einfach froh, wenn das Hinweisschild "Zagreb-Süd" nicht einfach abgebaut wird. Das Buch ist schon der zweite good-seller aus dem Verlag Voland & Quist und mittlerweile in der zweiten Auflage erhältlich.
Info: Edo Popovic "Ausfahrt Zagreb-Süd". Voland & Quist, Dresden/Leipzig 2006, 17,90 Euro
aus: Leider ist die verlinkte Seite / Foto / Video nicht mehr verfügbar. - Thofroe
In Antwort auf:Kroatien ist als erste einst jugoslawische Teilrepublik ausgeschert, hat den Kampf gegen die serbische Armee gewonnen, ist Mitglied der EU geworden, plant die Einführung des Euro.
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